• Beim Urfahraner Markt

Zweihundert Mal Gaudi und Geschäft

Der Urfahraner Markt startet heuer am 29.04. und ist das größte Volksfest des Landes

Er war in seinen Anfängen bloß für den Handel von Waren aller Art bestimmt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts kamen die Belustigungen hinzu und das, was wir heute als „Freakshow“ bezeichnen würden. So hieß es beispielsweise „Gemma Mitzi schaun“. Die 265 kg schwere Kolossaldame galt als Sensation ab den 1930er Jahren. Sie stemmte gleichzeitig vier Männer hoch, dann entblößte sie vor nur weiblichem Publikum ihren gewaltigen Busen.

Solch kuriose Darbietungen zogen Zuschauer zwischen 1923 und 1973 geradezu magnetisch an. Danach verloren sie allmählich ihren Reiz bzw. übernahm das Fernsehen diese Funktion. Striptease-Shows erfreuten sich ebenfalls großer Beliebtheit. Letztere entfachten 1978 einen eigenartigen Streit: Ein Schausteller wollte keine Lustbarkeitssteuer für sie zahlen und behauptete, sie seien lediglich als Belustigungen einzustufen. Die zuständigen Finanzbeamten waren allerdings anderer Ansicht und so musste der Impresario 16.000 Schilling berappen.

Bescheidene Anfänge. Derartige Debatten hätte Kaiser Franz I. kaum voraussehen können, als er es erlaubte, Märkte abzuhalten. Seit 200 Jahren finden diese nun im Frühling und im Herbst statt; sie dauerten jeweils zwei Tage. Dort standen landwirtschaftliche und gewerbliche Erzeugnisse aus dem Mühlviertel im Vordergrund. Die Besucher amüsierten sich über Bänkelsänger, die schaurige Geschichten erzählten, und über Akrobaten – dann wechselten sie zum Zahnbrecher über. Dieser zog in aller Öffentlichkeit kranke Zähne. Wer an Tumoren oder Kinderlähmung litt, erhoffte sich Heilung mittels einer Halsantenne vom Quacksalber. Diese Linzer Erfindung bestand aus einem Silberdraht mit aufgefädelten Glassteinen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlebte der Markt gute und schlechte Jahre. Ab 1894 erhielt die Gemeindevertretung die Erlaubnis, ihn von zwei auf jeweils acht Tage zu verlängern. In weiterer Folge änderte sich sein Erscheinungsbild radikal.

Hauptsache Unterhaltung. Die Märkte wurden immer mehr zum Volksfest – ohne nennenswerten Handelsschwerpunkt. Diese Tendenz verstärkte sich in den Jahren des Ersten Weltkriegs. Einerseits kam es damals zu einer Warenverknappung, andererseits nahm das Dirnenwesen (Prostitution) zu, weil die in Linz stationierten Soldaten einschlägige Zerstreuung suchten. Erst 1911 durfte ein Marktwirt Bier, Wein und Limonade ausschenken. Dazu verzehrten die Gäste Würste, Schnitzel und Gulasch. Der Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn löste 1958 eine kulinarische Revolution im Festzelt aus, als er das Grillhendl einführte. Jeweils im Frühling und Herbst konsumieren nun Besucher zwischen 8.000 und 11.000 knusprige „Glucken“. Nach Kriegsende begann die Blütezeit der Schausteller. Sie zeigten wilde Tiere sowie Menschen außerhalb körperlicher Normen und luden zum Ringelspiel ein. Karussells kamen als erste Fahrgeschäfte zum Einsatz. Ihr ursprünglicher Zweck war es, junge Adelige für Turniere zu trainieren. Kein Ponyhof war das Leben des fahrenden Volkes. Die Schausteller arbeiteten beinahe rund um die Uhr, manche von ihnen froren im Winter in unbeheizten Wohnwägen. Ihre Kinder mussten alle paar Tage oder Wochen die Schule wechseln. Heute ist ihr Leben immer noch beschwerlich; trotzdem lieben die meisten ihren Beruf. „Du brauchst Wurzeln“, erinnerte einmal eine Bäuerin ihre „fahrende“ Tochter. „Wozu?“, erwiderte diese, „ich habe Flügel!“.

Ungewisse Zukunft. Hallen für Warenaussteller errichtete man erst ab 1954. Nun lauern Überzeugungskünstler in den Kojen, die neben Haushaltswaren und Bekleidung „nanotechnische“ Autopasten und Putzmittel mit wundersamen Eigenschaften anpreisen. Die altehrwürdige Veranstaltung bedarf einer Erneuerung, sind sich die Experten einig. Zum Beispiel könnten vermehrt Bio- und Gesundheitsprodukte eine wichtige Rolle spielen. Damit würde man Menschen ansprechen, die herkömmliche Volksfeste meiden. Außerdem plädieren einige dafür, politische Veranstaltungen im Bierzelt zu verbieten. Es gibt bereits eine Menge Ideen, aber noch sind keine Entscheidungen gefallen. Niemand weiß also, was wir vom dritten Jahrhundert des „Urfahraner Jahrmarktes“ zu erwarten haben. Lassen wir uns also einfach überraschen!

Fotos: © Sokoloff, Bernhard Plank

2017-05-15T13:59:23+02:00