Musik ist mein Leben.

DIETMAR KERSCHBAUM über Bruckner, Heimat und Wünsche für die Zukunft

Seit Dezember 2017 ist Dietmar Kerschbaum Intendant und Künstlerischer Leiter des Brucknerhauses Linz. Mit City!-Redakteurin Hilde Weber plauderte er nicht nur über seine Visionen für das Konzerthaus an der Donau, sondern verriet auch allerhand Persönliches.
CITY!: Am 4. September beginnt das Brucknerfest unter dem Motto „Neue Welten“. Was sind aus Ihrer Sicht die Highlights?
Kerschbaum: Wir dürfen uns auf einen dichten und fulminanten Konzertreigen mit international gefeierten Stars freuen. Namhafte Dirigenten und Orchester widmen sich dem sinfonischen Werk Anton Bruckners. U.a. werden Valerij Gergiev und die Münchner Philharmoniker ihren umjubelten Bruckner-Zyklus zum Abschluss bringen; weiters gastiert Philippe Herreweghe, einer der wichtigsten Protagonisten der historischen Aufführungspraxis, mit seinem Orchestre des Champs-Élysées in Linz. Persönliche Höhepunkte sind für mich der Liederabend des gefeierten Tenors Piotr Beczała, dessen Karriere ja vor 20 Jahren in Linz begann, und das Konzert von Sir Andras Schiff, einem der führenden Pianisten unserer Zeit, der ein Klavierrezital mit Werken von Schumann und Beethoven gibt. 
Am 7. September folgt die Visualisierte Klangwolke. Dabei geht es hoch hinaus …
Ja, denn unter dem Titel „Solar“ thematisiert sie die Beziehung der Menschheit zur Sonne. Inszeniert wird diese Klangwolke von David Pountney, einem Meister spektakulärer szenischer Effekte, die er virtuos als Ausdrucksmittel einzusetzen versteht. Für die Klangwolke 2019 greift er auf seine reiche Erfahrung mit Open-Air-Inszenierungen zurück, mit denen er auch schon auf der Seebühne in Bregenz Maßstäbe gesetzt hat. Wir dürfen uns auf ein Gesamtkunstwerk freuen. Die Visualisierte Klangwolke feiert heuer übrigens ihr 40-jähriges Bestehen!
Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach dem Brucknerfest?
Neben den großen Namen, die wir wieder nach Linz holen werden – unter anderem Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra, die Staatskapelle Dresden, Gidon Kremer, das Emerson String Quartet, die Stargeigerin Isabelle Faust, Camilla Nylund, Rudolf Buchbinder oder Dianne Reeves – konzentrieren wir uns erneut auf Formate für das junge Publikum. Mit der Reihe „Comedy.Music“ holen wir den Humor ins Brucknerhaus, der allseits beliebte Jazzbrunch wandert ins hauseigene Restaurant Bruckner‘s. Ich denke, in unserem breit gefächerten Programm 2019/20 ist wirklich für jedermann und jedefrau etwas dabei. 
Das Saisonprogramm 2019/20 im Brucknerhaus steht unter dem Motto „Heimat“. Was bedeutet Heimat für Sie?
Als Opernsänger bin ich viele Jahre weltweit viel unterwegs gewesen. Ein spannendes Leben, das viele schöne Erinnerungen hinterlässt. Vielleicht spüre ich gerade deswegen besonders deutlich: Heimat ist für mich ein Gefühl des Nachhause-Kommens. Ich bin mit dem Südburgenland eng verbunden, wo ich aufgewachsen bin, und wo ich mit meiner Familie lebe. Aber auch Linz ist mir eine liebe, zweite Heimat geworden. 
Sie sind Intendant und Künstlerischer Leiter des Brucknerhauses. Warum haben Sie sich gerade für Linz entschieden?
Das Brucknerhaus ist ein fantastischer Ort. Ich liebe die zeitlose Architektur, die tolle Lage an der Donau. Es ist für mich eine einzigartige Wirkungsstätte, die es mir erlaubt, für unsere Stadt ein musikalisches Programm zu gestalten, mit dem wir die Menschen bewegen. Persönlich sind mir die Stadt und ihre Menschen sehr vertraut geworden. Ich bin in Linz angekommen, ich bin hier glücklich und bin stolz, dass ich hier kulturell meinen Beitrag leisten kann.
Gibt’s ein Lieblingsplatzerl?
Natürlich ist das Brucknerhaus mein absolutes Lieblingsplatzerl. Es ist das pulsierende, musikalische Zentrum für mich und für viele Linzer. Hier verbinden sich auch viele Qualitäten der Stadt, die ich besonders schätze: die herrliche Natur, die uns umgibt, mit ihren fabelhaften Aussichten auf die Donau und den Pöstlingberg bis ins Mühlviertel hinein. Gleichzeitig bietet die Stadt ein vielfältiges Angebot in allen Lebensbereichen, die Menschen sind herzlich, offen und haben Handschlagqualität. Das schätze ich.
Wollten Sie jemals einen anderen Beruf abseits der Musik ergreifen? 
Ich hatte schon immer den Drang, etwas mit Musik zu tun, weil mich Musik von Kind an bis ins Innerste berührt hat. Mit Musik habe ich mich selbst in schwierigen Situationen wohl gefühlt – ganz egal, ob ich aktiv selbst gesungen oder passiv nur zugehört habe. Mir war sehr früh klar, dass ich mit und durch Musik anderen Menschen vermitteln möchte, sich zu verändern, sich besser zu fühlen, ein Stückchen Glückseligkeit zu empfinden. Insofern war mein Berufsweg vorgezeichnet – mit Musik verbindet mich alles.
Ein anderer Beruf stand nie zur Debatte?
Ich war immer auch gut im Organisieren und es hat mich schon gereizt, in diesem Bereich tätig zu sein. Insofern war es ein Glücksfall, dass ich Schloss Tabor im Burgenland entdeckt habe und dann in meiner Heimat – einer Region, die damals kulturell ziemlich ausgehungert war – das Festival jOPERA gegründet habe. 2002 haben wir mit einem kleinen Konzert begonnen und ich habe dort so ziemlich alles gemacht, Sessel aufgestellt, Programme geschrieben und grafisch umgesetzt. Dass das Festival heute ein Publikumsmagnet weit über die Region hinaus ist, erfüllt mich mit Stolz und großer Freude.
Der Geburtstag Anton Bruckners jährt sich 2024 zum 200. Mal. Gibt es dafür schon Pläne?
Es ist eine große Herausforderung und wir sind schon voll in der Planung. Wir wollen eine „Marke Bruckner“ schaffen, mit der wir das Brucknerhaus auch international positionieren können. Die großen kulturaffinen Märkte liegen in Asien – in Korea, in China, in Japan – dort wird die westliche Kultur sehr geschätzt. Mein Ziel ist es, das Brucknerfest dort zu etablieren. Wir tragen den Namen Bruckner in die Welt hinaus, um zu zeigen, wie stark dieses Land, wie stark diese Stadt ist und wie die Musik Bruckners die Welt berühren kann. 
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
In diesen politisch etwas unruhigen Zeiten würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen zusammensetzen und aus der Vergangenheit lernen. Wir müssen mit Respekt miteinander umgehen und dürfen negative Entwicklungen nicht leichtsinnig hinnehmen, geschweige denn unterstützen. Am Musiksektor wünsche ich mir, dass die Stadt Linz und das Land Oberösterreich einen gemeinsamen Weg gehen. Das Musiktheater und das Brucknerhaus sind beide in der Musik verbunden. Und so, wie die Musik eine absolut internationale Sprache spricht, gibt es in der Musik auch keinen Neid. In der Einheit sind wir stark und mit mehr Zusammenhalt kann und wird es gelingen, dass Linz nicht nur ein führender Wirtschaftsstandort, sondern auch der kulturelle Standort Nummer eins ist.
Mit wem würden Sie gerne einmal einen Abend verbringen, und warum?
Mir ist grundsätzlich jeder Mensch wichtig, mit dem ich in einen Dialog trete. Es gibt so viele tolle Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen und von denen man unendlich viel lernen kann – egal ob das jetzt ein Universitätsprofessor ist oder ein Bauarbeiter, ein Landwirt oder ein Künstler. Jeder hat für mich eine Aussage, ich schätze alle Ansichten und ich lerne aus jeder Begegnung. Rückwirkend betrachtet gibt es jedoch ein Erlebnis, das mir unvergesslich ist. Ich hatte das ganz große Glück, einmal Mutter Teresa kennenzulernen und das Gespräch mit ihr wirkt bis heute nach.
Was macht Sie glücklich?
Wenn ich ins Publikum schaue und dort lachende Gesichter und leuchtende Augen sehe – egal ob hier im Brucknerhaus oder im Schloss Tabor. Es sind für mich großartige Momente, wenn ich sehe, dass ein Programm, das wir mit Herzblut und höchstem Respekt der Musik gegenüber erarbeitet haben, die Menschen berührt.

PERSÖNLICHES

Dietmar Kerschbaum
wurde am 29. Juli 1970 in Güssing geboren, Sternzeichen
Löwe. Er absolvierte ein Studium für Gesang an der
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und
gleichzeitig ein Schauspielstudium. Seit 2002 ist er
Gründer/Intendant des Festivals jOPERA im
Burgenland, seit 2017 Intendant/Künstlerischer Leiter
des Brucknerhauses Linz. Er ist verheiratet und Vater
von 2 Kindern. Seit Beginn seiner Intendanz am
Brucknerhaus lebt er hauptsächlich in Linz,
aber auch immer wieder bei seiner Familie im Burgenland.

Fotos: © City!

2019-12-03T22:03:53+01:00