• Autorin Petra Ramsauer über Corona, Gewalt und den Umgang mit Angst

So viel Mut wie möglich

Autorin Petra Ramsauer über Corona, Gewalt und den Umgang mit Angst

Jeder von uns kennt das Gefühl von Angst – und in Zeiten wie diesen, wo ein kleines Virus die halbe Welt auf den Kopf stellt, entwickeln immer mehr Menschen Angstsymptome. Fürchten wir uns zu Recht oder zu Unrecht? Autorin Petra Ramsauer hat im Land der Angst recherchiert und ein Buch darüber geschrieben. Einblicke über ihre sehr persönliche Auseinandersetzung mit Angst gab sie im exklusiven City!-Talk.

CITY!: Kürzlich ist Ihr neuestes Buch mit dem Titel „Angst“ erschienen. Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Ramsauer:
Hier sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Ich hatte schon länger vor, mich des Themas Angst in einem Buch anzunehmen. Ich hatte zuvor Bücher u.a. über Syrien und den Islamischen Staat geschrieben und dazu auch Vorträge gehalten. In der Diskussion wurde mir als erstes immer die Frage gestellt: „Wie gehen Sie mit der Angst um? Fürchten Sie sich nicht?“. Und wenn ich ganz ehrlich bin, hat mich das ein wenig irritiert.
Warum?
Weil es mir in erster Linie wichtig war, Empathie für die Menschen zu erzeugen, die in Krisengebieten leben – egal ob in Syrien, in Afghanistan oder etwa im Irak. Was heißt es, im Krieg zu leben, Krieg auszuhalten? Mich selber habe ich dabei nie im Fokus gesehen. Nachdem aber offensichtlich für das Publikum mein persönlicher Umgang mit Angst interessant war, habe ich begonnen, mich mit dem Hintergrund zu befassen, diese Fragen ernst zu nehmen und darüber auch zu sprechen. Daraus ist nun dieses Buch geworden.
Nun ist Angst in Zeiten von Corona ein Dauerthema. Fürchten wir uns zu Recht?
Ich denke, schon in der Zeit vor Corona hat sich bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl breit gemacht, dass es so nicht weitergehen kann – Stichworte: Klimawandel, Digitalisierung, Automatisierung, Pensionssicherung, Zukunft unserer Kinder. All das hat zu zunehmender Verunsicherung geführt. Und dann kam COVID-19 – und hat alle Befürchtungen in sehr greifbare Ängste manifestiert.
Welche Ängste beschäftigen die Leute am meisten?
Die Angst vor dem Jobverlust – wir haben Kurzarbeit und eine Rekord-Arbeitslosigkeit. Wie geht es mit der Bildung für unsere Kinder weiter – schließen die Schulen wieder? Und natürlich die Angst vor diesem Virus. Verlieren wir die Kontrolle? Gerät unser Leben aus den Fugen? Haben wir nichts mehr in der Hand?
Zurück zu COVID-19 und nochmals die Frage: Fürchten wir uns zu Recht? Was meinen Sie?
Nun, die Krankheit, die dieses Virus auslöst, ist deutlich tödlicher als die Grippe. Und es zeigt sich weltweit, dass die Infektionszahlen durch die Decke gehen, wenn nicht Maßnahmen zur Verhinderung einer Infektion gesetzt werden. Leider sind das halt alles Maßnahmen, die unsere Lebensqualität einschränken, aber aus meiner Sicht sind sie einfach notwendig. Meiner Meinung nach müssen wir das Virus verdammt ernst nehmen. Und das sage ich nicht einfach so leicht hin. Ich habe mich mit hunderten internationalen Studien befasst und auch mit Ärzten, die Covid-19-Patienten behandeln, gesprochen. Alarmierend war für mich, dass es auch bei asymptomatischen Verläufen zu schweren Organ-Schädigungen kommen kann. Außerdem wissen wir alle noch immer viel zu wenig über dieses Virus, um es auf die leichte Schulter zu nehmen. Es heißt zwar, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist – manchmal aber auch der allerbeste.
Sie selbst waren mehr als 20 Jahre als Kriegsberichterstatterin in Krisengebieten, vor allem im Nahen Osten. Warum tut man sich als Frau das an?
Warum nicht? Wenn man die Geschichte und die Folgen eines Konfliktes in seiner Gänze erzählen möchte, dann ist das – insbesondere im Nahen Osten – tendenziell für Männer schwieriger als für Frauen. Gewalt gegen Menschen richtet sich vor allem gegen Frauen und die Gefahr für Leib und Leben ist momentan für ganz normale Frauen in Kriegsgebieten größer als für Soldaten einer Armee. Es ist für einen Mann deutlich schwieriger, eine Frau über sexuelle Gewalt zu interviewen. Gleichzeitig gibt es für mich als Frau aber keine Hürden, mit Männern zu sprechen. So kann ich als Frau über derartige Konflikte wesentlich umfassender berichten.
Als Kennerin der Lage im Nahen Osten: Besteht für diese Region jemals eine reelle Chance für Frieden und Freiheit?
Ohne Zweifel gibt es in der Region große Konfliktprobleme; dennoch gibt es auch immer noch Teile der Bevölkerung, die nach vorne schauen und Positives für ihr Land gestalten möchten. Leider ist in den letzten Jahren im Irak, in Syrien, im Libanon katastrophal viel schief gegangen, nicht zuletzt durch die Einflüsse von Großmächten und willfährige Diktatoren. Es wäre für die Staaten des Nahen Ostens sehr wichtig, für sich und die Bevölkerung klar zu definieren, wie eine gelungene Zukunft aussehen könnte, wie man mit Stammeskulturen umgeht, wie man Minderheiten behandelt, wie man eine eigene Identität findet. Das ist sicher noch ein gigantisch weiter Weg.
Gibt es eine Lösung?
Lassen Sie mich auf die österreichische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Es gab den Marshall-Plan, die Besatzungsmächte haben dafür gesorgt, dass es starke Zeitungen im Land gab, es gab Investitionen in die Industrie und die Ausbildung der Menschen. So etwas gab es im Nahen Osten noch nie. Es wäre eine Aufgabe der Weltgemeinschaft, sich Gedanken zu machen, was die Menschen in dieser Region wirklich brauchen und sie darin vor Ort zu unterstützen – und nicht, welche Präsidenten, Diktatoren und Armeeführer gerade willig sind, Krieg zu führen. Das gilt im Übrigen für alle Krisengebiete der Welt – Stichwort Moria. Es ist wichtig, humanitär einzuschreiten, aber die zentrale politische Aufgabe ist es, in den Krisengebieten zu helfen.
Wie gehen Sie mit Angst um?
Natürlich habe auch ich manchmal Angst. Man muss halt unterscheiden: Ist es Angst, die mich lähmt oder Angst, die mich anspornt, an meine Grenzen zu gehen. Lassen Sie es mich anhand eines Beispiels erklären. Wenn Sie im Winter Autofahren und Sie kommen auf Glatteis ins Rutschen, müssen Sie schnell handeln, Ihr Puls und Ihr Blutdruck steigen und Sie kommen ins Schwitzen, um die Situation zu meistern. Dramatisch wird es erst, wenn man im Winter schon Herzklopfen und Schweißausbrüche bekommt, während man noch seelenruhig auf einer trockenen Autobahn fährt. Wenn man sich aber entscheidet, neue Winterreifen zu kaufen und ein Fahrsicherheitstraining zu machen, hat diese Angst etwas total Positives. Es geht im Leben also nicht darum, keine Angst zu haben, sondern mit dem Gefühl der Angst konstruktiv umzugehen; die richtige Balance zu finden von so wenig Angst wie nötig, so viel Mut wie möglich.
Mit wem würden Sie gerne einmal einen Abend verbringen, und warum?
Da fallen mir vor allem Frauengestalten ein. Könnte ich in eine Zeitmaschine steigen, dann Bertha von Suttner, weil mich die Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges sehr interessiert, oder Kaiserin Elisabeth, um diese Persönlichkeit historisch neu zu zeigen. In der Gegenwart: Angela Merkel oder die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Ich frage mich im Rahmen meiner eigenen journalistischen Karriere oft, ob Frauen bessere Politik machen können als Männer. Hier gibt es sicher spannende Ansätze. Es gibt z.B. Studien, die zeigen, dass Friedensverträge wesentlich stabiler sind, wenn Frauen in die Verhandlungen eingebunden werden. Frauen sind aber auch in der Lage, sehr viel Böses zu tun. Frau sein schützt nicht vor Torheit.
Ihre Zukunftswünsche?
Ich wünsche mir einen Aha-Moment, der uns vor Augen führt, dass es keine Alternative dazu gibt, sofort Klimaschutzmaßnahmen zu setzen, um unsere Erde noch zu retten. Hier sind Politik, Wirtschaft, ja wir alle gefordert.
Was macht Sie glücklich?
Dass ich in einem Land wie Österreich leben kann, in dem rund um die Uhr eine medizinische Versorgung gewährleistet ist, in dem Trinkwasser aus der Leitung kommt, in dem ich die wunderbare Landschaft am Attersee genauso genießen kann wie das pulsierende Leben in Wien. Wenn man so wie ich sehr viel in den Krisengebieten unserer Welt unterwegs war, weiß man das umso mehr zu schätzen. Ich führe ein gutes Leben und wäre glücklich, wenn es noch lange so bleibt.

Fotos: © jacqueline godany, privat

2020-11-30T20:30:48+01:00