Sechs Jahrhunderte im Zentrum
Linz verfügt mit dem Alten Rathaus über ein architektonisches Juwel am Hauptplatz
Das Linzer Rathaus steht seit mehr als 600 Jahren im Brennpunkt der Geschichte. Im ausgehenden Mittelalter kämpften Turnierreiter vor seinen Mauern, im Barock erteilte ein Papst vom Balkon aus seinen Segen ans Volk und schließlich verkündete Hitler dort die Rückkehr Österreichs ins Deutsche Reich.
Schon um 1490 erhielt Linz das Recht, einen Bürgermeister zu wählen. Der Amtsinhaber haftete angeblich in jener Zeit für die Schulden der Stadt, die sich während seiner Funktionsperiode angehäuft hatten. Jedenfalls waren im späten 18. Jahrhundert Bürgermeister und Stadträte verpflichtet, eventuelle Defizite aus ihrem Privatvermögen zu begleichen. Damals wurden diese Funktionäre nicht gewählt, sondern vom zentralistisch geführten Staat eingesetzt.
Schmähung. Das schon 1415 in historischen Quellen erwähnte Rathaus wurde 1509 Opfer eines Brandes. Auf dem Neubau fixierte 1512 ein spanischer Adeliger eine Schmähschrift. Damit beleidigte er die deutsche Ritterschaft und forderte einen Vertreter zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Das „Losensteiner Turnier“ trugen die Streithähne anlässlich der Hochzeit von Erzherzog Ferdinand I. und Anna von Ungarn vor dem Rathaus am Hauptplatz aus. Der Österreicher griff zu einer List: Er brachte seinen Hengst dazu, sich in die Nüstern des gegnerischen Pferdes zu verbeißen und damit das Tier festzuhalten. Hätte der hochadelige Bräutigam nicht interveniert, wäre der Rivale auf der Stelle getötet worden.
Wie ein Puzzle. Der heutige Komplex des Alten Rathauses setzt sich aus mehreren ehemaligen Privathäusern zusammen. Seine Vergrößerung, die erst im vorigen Jahrhundert ihren Abschluss fand, begann um 1658/59. Zu dieser Zeit vereinten Architekten den damaligen Verwaltungssitz mit dem Nachbarhaus, indem sie beide Gebäude mit einer gemeinsamen Fassade versahen. Diese besteht aus einer Folge von senkrechten weißen „Pilastern“, die sich leicht von der Mauer abheben, und rosaroten Fensterreihen. Die Bausubstanz dahinter blieb unverändert. Gotische Gewölbe und ein Arkadenhof im Renaissancestil sind bis zur Gegenwart erhalten. Auch der Eckturm stammt aus der früheren Bauphase. Papst Pius VI. kam nach Österreich in der vergeblichen Hoffnung, die Reformwut von Kaiser Josef II. zu bremsen. Dieser hatte nämlich etliche Klöster und Orden aufgelöst, die sich nur dem Beten und Meditieren widmeten. Dabei besuchte der Heilige Vater 1782 Linz und spendete vom Rathausbalkon aus dem versammelten Volk seinen Segen. Am 12. März 1938 fielen deutsche Truppen in Österreich ein. Am gleichen Tag präsentierte sich Hitler seinen „befreiten“ Landsleuten ebenfalls am Rathausbalkon. Die „Vorsehung“ habe ihm, so behauptete der neue Messias, den Auftrag erteilt, „meine teure Heimat dem deutschen Reich wiederzugeben“. Die Verheißungen des Rattenfängers führten letztlich zur Verwüstung seiner geliebten „Führerstadt“.
Zahnmuseum und Kunstraum. Das Neue Rathaus auf der dem Hauptplatz gegenüberliegenden Donauseite, beherbergt seit 1985 viele Dienststellen des Magistrats und wird von den Linzer wenig liebevoll oft als „Tintenburg“ bezeichnet. Der Bürgermeister, der Gemeinderat, der Stadtsenat und einige Ämter sind jedoch den alten Räumlichkeiten treu geblieben. Besucher können Kunstwerke, wie ein Gemälde von Christian Ludwig Attersee bewundern, die auf verschiedenen Etagen gezeigt werden. Sie sind auch eingeladen, eine (schmerzfreie) Besichtigung des dortigen Zahnmuseums zu unternehmen und nachher im Arkadenhof, im traditionellen Wirtshaus Keintzel ihre Kauwerkzeuge einzusetzen. Samstags steht dort übrigens ein Schweinsbraten auf der Speisekarte, der als echter Geheimtipp gilt. Trotz Modernisierungen bemühen sich die Verantwortlichen, Reste alter Ornamentik und Bauteile zu konservieren. Ein dekoratives Gemälde entdecken wir zum Beispiel unter dem gläsernen Fußboden im Konferenzraum er Magistratsdirektion. Räumlichkeiten für Produktpräsentationen und Events können im Rathaus angemietet werden.
Fotos: ©Sokoloff