• STRUKTUR. Die Einrichtung von SOS-Menschenrechte in Linz bietet den jungen Flüchtlingen Halt und Sicherheit auf ihrem Weg zurück in die Normalität.

Eine zweite Chance

Ein Neuanfang: SOS-Menschenrechte stärkt junge Asylsuchende in Linz mit einer zweiten Chance.

SOS-Menschenrechte, ein gemeinnütziger Verein für eine offene Gesellschaft, die von Demokratie, Pluralität und Toleranz geprägt ist, haben wir jüngst besucht. Denn die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen machen mich aktuell sehr nachdenklich. 

Man sollte tatsächlich wieder mehr mit den Menschen sprechen als bloß über sie. SOS-Menschenrechte betreut in Linz Flüchtlinge, darunter auch in einer Wohngemeinschaft junge Frauen, die schlimme Erfahrungen hinter sich haben. Christian Bauer (48), der Hausleiter der WG, erzählt über die aktuellen Herausforderungen seiner Tätigkeit.

Was hat Sie motiviert, die Leitung hier zu übernehmen?

Ich war lange in der Kinder- und Jugendhilfe tätig, und bin dann eher zufällig auf dieses Projekt mit seinen unterschiedlichen und sehr ergreifenden Asylgeschichten gestoßen.

Was sind die besonderen Herausforderungen bei einer solchen Tätigkeit?

Einerseits ist es schon die politische Lage. Denn es gibt viele kritische Stimmen, weil die Leute oft unreflektiert über andere urteilen, ohne die betroffenen Menschen und deren Geschichte zu kennen. Andererseits ist unsere Arbeit auch von Ressourcen abhängig, und gegenwärtig sind wir mit niedrigen Tagsätzen konfrontiert. Dennoch ist es wichtig, sich in diesem Bereich zu engagieren. Alle, die hier im Haus untergebracht sind, sind integrations- und arbeitswillig und auch nett und motiviert. Und sie verdienen eine Chance auf ein besseres Leben.

Das Umfeld ist momentan ja wirklich nicht gerade motivierend. Gab es bei Ihnen auch schon Momente, wo Sie gesagt haben, „Ich mag jetzt nicht mehr”?

Überhaupt nicht! Wenn ich hierherkomme und in die Gesichter der jungen Menschen schaue, bin ich jeden Tag aufs Neue motiviert. Die Herausforderungen sind politisch geprägt, und dafür können unsere Jugendlichen nichts.

Wie denken Sie, könnte man die Stimmung verbessern?

Man merkt, dass es viele Vorurteile in der Bevölkerung gibt. Die Lage ist momentan aufgeheizt, und man sagt schnell etwas nach, obwohl man die Leute gar nicht kennt. Tatsächlich aber dealt der Großteil der Asylsuchenden nicht mit Drogen und könnte ein Gewinn für unsere Gesellschaft sein – vor allem in den Mangelberufen. Wenn die Bevölkerung diese Menschen und deren Fluchtgeschichten kennen würden, dann würden auch viele ihre Meinung ändern. Wir müssten nur ein Stück aufeinander zugehen.

Es gibt aber auch die schwarzen Schafe. Wie soll man mit solchen Jugendlichen umgehen?

Ja, die gibt es tatsächlich. Ich bedaure das sehr, weil Österreich immer eine Tradition darin hatte, Menschen aus Krisenregionen zu helfen und solche schwarzen Schafe die positive Meinung zerstören. Missstände müssen daher auch beim Namen genannt werden, da kann man nicht einfach darüber hinwegsehen. Auch wenn es oft gefordert wird, ist es tatsächlich nicht so einfach, straffällig gewordene Flüchtlinge abzuschieben. Man kann auch nicht pauschal sagen, was man mit solchen Systemsprengern machen soll. Hier braucht es individuelle Konzepte, denn ganz allgemein befinden sich die Jugendlichen ja in keinem leichten Alter. Die jungen Leute brauchen Orientierung, eine Aufgabe und Struktur. Umgekehrt benötigen sie aber auch Anerkennung und Wertschätzung. In meinem pädagogischen Alltag erlebe ich die jungen Menschen auch so, dass sie eh wissen wollen, was sie machen sollen, um nicht anzuecken. Und bei unseren Burschen ist es ähnlich wie oft auch bei jungen Österreichern, dass sie halt noch lernen müssen, was Mädchen jetzt gut finden oder nicht.

Woher kommen die jungen Frauen, die hier in der WG betreut werden?

Sie stammen aus Syrien und Somalia und waren bei der Flucht auch Gewalt ausgesetzt. Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen hier einen sicheren Ort bieten können und eine Trauma pädagogische Ausrichtung haben.

Wie lange dauert es, bis solche schlimmen Erfahrungen überwunden werden können?

Das kommt auf die Person und deren jeweiligen psychischen Abwehrkräfte an – und natürlich auch auf das Umfeld mit seinen positiven und stabilisierenden Sozialkontakten. Wir arbeiten hier auch mit einer erfahrenen Psychotherapeutin zusammen.

Ab wann verlassen die Jugendlichen diesen schützenden Ort?

Mit einem positiven Asylbescheid und guten Deutschkenntnissen werden die Jugendlichen dann in anderen betreuten Wohnformen untergebracht, wo sie auch eine mobile Betreuung haben.

Gibt auch Beispiele, wo Sie sagen könne, dass da die Integration besonders gelungen ist?

Ja, da gibt es zum Beispiel einen Jugendlichen, der mittlerweile sehr gut deutsch kann und sich selbst ehrenamtlich engagiert. Er macht gerade seinen Pflichtschulabschluss und ist mit Meilensteinen unterwegs. Er ist einer von vielen Fällen, denen alles nicht schnell genug gehen kann.

Ist nicht auch die Wokeness bzw. das, was man unter politischer Korrektheit kennt, etwas Schuld daran, dass wir Schwierigkeiten haben, aufeinander zuzugehen. So ist ja schon die Frage nach der Herkunft, etwas, was man unterlassen sollte. Aber wie kann ich dann mehr über das Schicksal eines geflüchteten Menschen erfahren?

Das ist zum Schluss jetzt schon eine gemeine Frage (schmunzelt). Denn mir sind solche Themen sehr wichtig, aber wenn wir für alles im menschlichen Kontakt Regeln aufstellen wollen, verlieren wir uns in Details. Wenn wir jedoch achtsam aufeinander zugehen, braucht es diese Debatten nicht. Auch als „supergescheiter” Pädagoge, kann ich damit die Menschen nicht abholen, die halt ihre eigenen Umgangsformen und ihre eigene Sprache haben.

Hintergrund

DER VEREIN IN LINZ: SOS-Menschenrechte ist parteipolitisch und konfessionell ungebunden. In der WG Ohana finden rund 18 Jugendliche einen sicheren Ort. Darunter ist z.B. Rayan (16): Sie ist mit ihrem Vater aus Syrien über die Türkei zu uns gekommen. Elhan (18) hingegen stammt aus Somalia und kam mit ihrem Onkel über Ungarn hierher. Die Jugendlichen müssen nicht nur die Gefahren und Belastungen der Flucht auf sich nehmen, sondern auch die Schwierigkeiten, die das Asylverfahren in Österreich mit sich bringt, bewältigen. Die junge Betreuerin Karmina Mersdorf arbeitet auch mit männlichen Flüchtlingen zusammen und hat sich bei ihrer Arbeit selbst immer sicher gefühlt. Natürlich können auch Sie helfen. Spendenkonto: SOS-Menschenrechte, IBAN: AT89 1860 0000 1061 6365, BIC: VKBLAT2L

Fotos: © T.Duschlbauer

2024-02-25T21:36:06+01:00