Fröhliche Stunden

 

Die Schutzengel Apotheke ließ die Not vergessen

 

Künstler und Intellektuelle trafen sich heimlich im 1917 gegründeten „Giftga­dern“ der Linzer Schutzen­gel Apotheke in der Linzer Herrenstraße 2. Getreu dem Motto: „Hier in dieser stillen Klause macht der Welt­krieg eine Pause.“ Wer Bier wollte, bestellte im Hinter­zimmer „Gurgelwasser“; für Cognac verwendete man den Decknamen „Zahntrop­fen“. Das Trinkgelage sollte ja verborgen bleiben.

Wer gut trinkt, schläft gut, sündigt nicht und kommt also in den Himmel.“ Dieser Spruch ist einem Ritterschild zu entnehmen; die dazu gehörige Rüstung stand in „einer der ver­rücktesten Trinkstuben der Welt“. Sie war mit skurrilen Bil­dern und Objekten vollgestopft: einem Totengerippe, einer aus verschiedenen Tierkörperteilen zusammengesetzten „Ratte“ und einem Gemälde mit der Maul- und Klauenseuche als Motiv. Hier herrschten eigenar­tige Bräuche: Wer die Klause betrat oder verließ, musste zum Beispiel einen von der Decke baumelnden, ausgestopften Handschuh schütteln. Hier war auch Richard Wagners Sohn, der Dirigent und Komponist Siegfried Wagner, manchmal anzutreffen. Ein weiterer Dau­ergast: der begnadete Zeichner Clemens Brosch, der sich vom Apotheker Sepp Melichar mit Morphium sowie Kokain ver­sorgen ließ. Der Umgang mit diesen Betäubungsmitteln war damals noch recht locker. In der Kaiserzeit hatten sie Franz Jo­seph, Sissi und andere Mitglie­der seiner Familie regelmäßig konsumiert. Weil aber immer mehr Menschen süchtig gewor­den waren, hatte man ab 1909 begonnen, ihren Vertrieb inter­national einzuschränken. Bis 1925 war der legale Drogenhan­del effektiv unterbunden. Heroin stellte jedoch einen Sonder­fall dar. Die Firma Bayer produzierte es ab 1898 und be­warb es als „das sicherste aller Hustenmittel“. Es wurde auch eingesetzt, um Entzugserschei­nungen von Opium und Mor­phium zu lindern. Wer nur klei­ne Dosen schluckte, wurde tatsächlich selten abhängig; lei­der aber begannen Rauschgift­süchtige das Mittel zu rauchen und zu spritzen. Auch wenn die Firma Bayer ungern auf ihre „Cash Cow“ verzichtete, kam die erlaubte Produktion von Heroin nach 1931 zum Still­stand.

Mehrere Schutzengel. Gleichnamige Geschäfte an an­deren Orten hängen nicht mit der Linzer Schutzengel Apo­theke zusammen, die 1849 von Josef Jannach gegründet wur­de. Dreimal musste er darum ansuchen, bevor er die Geneh­migung erhielt. Auch damals wollten etablierte Unterneh­men der Branche jegliche Kon­kurrenz in ihrer Nähe unter­binden. In der Folge wechselten oft die Besitzer, bis 1910 Sepp Melichar das Geschäft erstand. Er war nicht nur kaufmännisch geschickt, sondern auch eine schillernde Persönlichkeit – unter anderem fungierte er als Gemeinderat, Herausgeber ei­ner national-antisemitischen Zeitschrift und als Obmann des Turnvereins. Für die Ge­schäftsleitung heuerte er den Pharmazeuten Hugo Lin­denthal an. Nach Begutachtung seiner tadellosen Zeugnisse fragte er den Bewerber: „Kön­nen Sie sonst noch etwas?“ Mit einem Satz sprang der Kandidat dann über den Ladentisch. „Sie sind mein Mann!“, rief Melichar begeistert aus. Damals richte­ten viele Apotheker gesellige Räume in ihren Geschäften ein, die allerdings selten so bizarr ausgestattet waren wie Me­lichars Künstlertreff. Ursprüng­lich befand sich diese Arznei­ausgabe neben dem Landes-theater. 1917 zog sie allerdings an ihren gegenwärtigen Stand­ort auf der Promenade bzw. am Beginn der Herrenstraße. Als Melichar 1937 starb, kaufte Ge­org Mayerhofer, Urgroßvater des jetzigen Inhabers Jörg, das Unternehmen. In den folgen­den Jahren entstanden daraus ein Großhandel und eine phar­mazeutische Produktion mit 300 Mitarbeitern. Diese Berei­che verkaufte Jörg Mayerhofer um die Jahrtausendwende. Üb­rig blieben drei benachbarte Läden: Apotheke, Reformhaus und Kräuterhandlung. Bei einer Renovierung vor sechs Jahren entfernte man die Wände, die diese voneinander trennten.

Top-Auswahl. Der Apothe­ker verfügt über einen Fundus von mehr als 500 Kräutern und Gewürzen, erzeugt homöopa­thische und andere alternative Heilmittel wie Naturkosmetika und Müslis. Auch wenn die klas­sische Medizin bei ihm an erster Stelle steht, meint er: „Man muss für alles offen sein“.

 

 

Fotos: Sokoloff, Bernhard Plank

 

2017-09-05T12:19:20+02:00