Büffeln statt Beten

In Steyr existieren noch einige Zeugnisse der früheren jüdischen Kultusgemeinde.

Für ein Gotteshaus wirkt das Gebäude Bahnhofstraße 5 in Steyr zu alltäglich und nüchtern. Dennoch hat es einst eine Synagoge beherbergt. Sie ist das einzige Gebetshaus in ganz Oberösterreich, das den Krieg überstanden hat.

Eine Gedenktafel des Mauthausen Komitees unterstreicht ihre historische Bedeutung.

Wahrscheinlich haben sich auch die Taferlklassler im oberen Stockwerk nie gefragt, warum ihr Lerninstitut fünf Fenster besitzt. Die Hairstylisten des Friseursalons unter ihnen werden keine Antwort liefern können, genauso wenig die Kunden der Bank, ebenfalls im Erdgeschoss. Die Glasscheiben sollen die fünf Bücher Mose, den ersten Teil des Alten Testaments, versinnbildlichen. Über der mittleren standen einst wie eine Art Krone auf dem Dach die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten. Sie wurden 1938, nach dem Anschluss Österreichs, entfernt. Die Synagoge wurde damals „arisiert“ und die Israelitische Kultusgemeinde Steyr aufgelöst. Ursprünglich stand dort ein Restaurant als Teil einer Brauerei. Die Steyrer Juden kauften 1894 das Gebäude und bauten es in eine Synagoge um. Zu dieser Zeit zogen immer mehr Israeliten von Böhmen und Mähren nach Steyr. Dort gab es Industrieanlagen – also Arbeit. Um 1900 erreichten die Juden dort ihre höchste Populationsdichte – ungefähr 200 Personen. Jahrhunderte zuvor gab es in Steyr allerdings auch schon Juden. Im 15. Jahrhundert wurden sie allerdings beschuldigt, Hostien geschändet zu haben. Nach damaligen Vorstellungen enthielten diese tatsächlich den Leib Christi. Es kam zu Verfolgungen, Ermordungen und Vertreibungen. Etwa 500 Jahre lang durften sich keine Menschen mosaischen Glaubens ansiedeln, wobei es doch immer wieder zu Ausnahmen kam. Erst 1849 erließ Kaiser Franz Josef ein Patent, das jeder Person im Habsburger Reich gestattete, dort zu wohnen, wo sie wollte. Dessen Vollzug wurde dennoch von Lokalbeamten oft verhindert.

Spärliche Besuche. Die Steyrer Rabbiner, die im Synagogengebäude wohnten, waren nicht sehr zufrieden mit ihren Schäfchen. Dabei handelte es sich meist um assimilierte Juden, die sich nicht an die Gebote der Religion hielten und nur sporadisch den Gottesdienst besuchten. Dafür waren sie in Vereinen wie der Feuerwehr aktiv. Die Zahl der Gemeindemitglieder schwankte ständig und ist bis 1938 auf ungefähr 70 gesunken. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man etwa 1.800 jüdische Flüchtlinge in der Steyrer Kaserne unter- gebracht. Sie gründeten erneut eine Kultusgemeinde, die Gottesdienste in der alten Synagoge feierte. Die meisten zogen aber bald wieder fort, sodass sich die Gemeinde nach und nach auflöste.

Erinnerung begraben. Viele Mitglieder der früheren Kultusgemeinde rund um die Synagoge liegen auf dem jüdischen Friedhof auf dem Taborberg begraben. Es grenzt an ein Wunder, dass dieser noch besteht. Leider ist er nicht frei zugänglich. Die Nazis hatten vor, ihn quasi legal von der Prager Kultusgemeinde (Nachfolgerin der aufgelösten Organisation in Österreich) zu kaufen und dann zu vernichten. Das Geld ist aber nie in den dafür vorgesehenen Topf geflossen, weshalb die historische Begräbnisstätte die Zeiten überdauert hat. Erst 1873 wurde der Friedhof angelegt, weil Juden jahrhundertelang keine Grundstücke erwerben durften. Vor dieser Zeit mussten sie ihre Toten in Südböhmen bestatten. 1849 schrieb ein Pfarrer an die Bezirkshauptmannschaft: „Die Särge müssen wohl verpicht (mit Pech versiegelt) sein, damit die Gesundheit der Bewohner jener Ortschaften, wo die Leichen durchgeführt werden, nicht durch schädliche Ausdünstungen gefährdet wird.“

2018-09-03T21:25:44+02:00